Weihnachten als Feuerprobe für Paare


Die Schwiegereltern haben sich angekündigt, Romantik, die man nicht so fühlt, liegt in der Luft, und man hat Zeit für einander. Der Dezember kann für Paare eine Herausforderung sein, weiss der Therapeut David Siegenthaler. Auch da helfe Verständnis, sagt er.

Interview: Christopher Gilb
Luzerner Zeitung
 9.12.2018

Er ist 29 Jahre jung und bereits ein erfahrener Berater. Zwei Jahre lang hat David Siegenthaler zuletzt für die Paar- und Einzelberatung leb im Dienstleistungsauftrag des Kantons Zug gearbeitet. Da dieser ab Ende Jahr das Angebot jedoch nicht mehr finanziell unterstützt und es deshalb eingesellt werden muss, hat er sich kürzlich selbstständig gemacht und berät jetzt in eigenen Räumlichkeiten in der nähe der Burg Zug unter «Sexual- und Paarberatung David Siegenthaler». Auf dem Tisch zwischen den drei schwarzen Stühlen im Beratungszimmer steht eine Box mit Taschentüchern. Diese werden öfters gebraucht, wenn es bei den Sitzungen ans Eingemachte gehe, verrät er.

Paar- und Sexualberater David Siegenthaler beim Interview in seinem Beratungszimmer in Zug.  (Bild: Stefan Kaiser (3. Dezember 2018))

David Siegenthaler, Weihnachten rückt immer näher. Überall ist die Adventszeit zu spüren. Was für Herausforderungen stellen sich da dem Beziehungs- und Sexualleben?

Naja, in den Feiertagen beispielsweise fällt der Alltag weg, man hat Zeit füreinander. Das Problem ist nur, wenn man feststellt, dass man die Beziehung eben nicht mehr gelebt hat, weil etwa unter dem Jahr der Alltag überhandgenommen hat und mann nur noch funktioniert und sich somit auch ein Stück weit vom Partner distanziert hat. Dann gibt es viel Unausgesprochenes, was in einer solchen «gemeinsamen Zeit» zwischen einem stehen kann. Eine Beziehung muss gepflegt werden, um gut zu sein. Schlechter wird sie von alleine.

Und dann kann es gerade in einer Zeit, die doch perfekt sein soll, zum Streit kommen?

In der Advents- und Weihnachtszeit spielt natürlich das traditionelle Bild der perfekten Familie, die gemeinsam feiert, eine Rolle. Und plötzlich merkt man dann eben, dass in der eigenen Beziehung gar nicht mehr alles so perfekt ist. Die meisten sexuellen Probleme entstehen durch Druck. Dass in dieser Zeit alles perfekt sein muss, kann durchaus Druck machen. Man versucht, sich in ein traditionelles Bild einzupassen, das einem vielleicht gar nicht zusagt. Dann kann noch die Sache mit den Verwandten oder Schwiegereltern dazukommen.

Was meinen Sie damit?

Die Frau eröffnet dem Mann – oder umgekehrt –, dass die Eltern gefragt haben, ob sie zum Weihnachtsfest vorbeikommen können. Der Partner oder die Partnerin kann die Schwiegereltern aber gar nicht ausstehen und freut sich darüber gar nicht. So etwas kann schon Monate zuvor ein Streitthema sein. In Zug gibt es viele binationale Paare, gerade da kann das zum grossen Thema werden.

Wieso?

Indem beispielsweise die Frau dem Mann in einem solchen Kontext vorhält, für ihn ihre Heimat verlassen zu haben und ihm vorwirft, dass es nun für ihn zu viel sei, wenigstens über Weihnachten mit ihr zu ihrer Familie zu fahren. So können Schuldgefühle erzeugt werden. Aber bei «traditionellen» Feiern ist sowieso bei Paaren mit unterschiedlichem Hintergrund ein Konfliktpotenzial da, weil Verschiedenheiten zum Vorschein treten können, etwa bei Glaubensfragen. Wenn zwei Partner komplett anderen Glauben oder andere Familienkulturen pflegen, birgt das viel Konfliktpotenzial.

Dass die «Familientreffen» an Weihnachten nicht immer einfach sind, wissen wir alle. Was empfehlen Sie Paaren, um trotzdem ein friedliches Fest zu feiern?

Man muss sich bewusst sein, dass es nicht immer nur die Variante A oder B gibt. Also Fest mit Schwiegereltern, aber selbst unglücklich sein, oder Fest ohne Schwiegereltern mit einer Ehekrise als Folge.

Was gäbe es für andere Varianten?

Eine Lösung wäre beispielsweise, die Familie zwar zu treffen, aber in einem anderen, für einen weniger belastenden Rahmen. Oder zu sagen: «Wir können gehen, ich brauche dich aber als Unterstützung.» Denn manchmal geht man ja nur deswegen ungern, weil man das Gefühl hat, dass der Partner oder die Partnerin einem in dieser Konstellation nicht genügend zur Seite steht. Den Partner an der Feier beispielsweise vor der Familie zu loben, kann schon viel zur Entschärfung des Konfliktpotenzials beitragen. Der Schlüssel ist wie immer das gegenseitige Verständnis. Wenn man nach Hause kommt und der Partner immer vor dem Fernseher sitzt, kann man ihn – etwas salopp gesagt – entweder deswegen anschnauzen, ihm sagen, dass das mal wieder typisch sei oder ihn fragen, ob er nicht Lust habe, mal wieder etwas Gemeinsames zu machen.

Es gibt ja nicht nur den Fernseher. Die Menschen verbringen immer mehr Zeit mit dem Smartphone. Dieses bietet bekanntlich jede Menge Zerstreuung.

Es gab auch vor der Smartphone-Zeit schon viel Ablenkungsmöglichkeiten. Aber ja, ich habe Klienten, wo das ein Thema ist und die eine Person der anderen vorwirft, immer am Handy zu sein und mit anderen Leuten, beispielsweise den Schwiegereltern, zu schreiben, statt sich um die Beziehung zu kümmern.

Und wenn ein Paar lieber eine Serie auf Netflix schaut, statt miteinander ins Bett zu gehen?

Ich glaube, das Problem ist, wenn man sich gemeinsam die Serie anschaut, dabei aber nicht mehr kuschelt. Das hat auch oft mit der Angst vorm Scheitern zu tun. Man kuschelt nicht mehr, weil man das Gefühl hat, gleich etwas Sexuelles machen zu müssen, und vielleicht hat es einmal nicht geklappt, und schon macht das Hirn die Verlinkung «Sex gleich Scheitern». Also konzentriert man sich lieber gänzlich auf die Serie. Man darf nicht vergessen: In der Phase des Verliebtseins wird man durch die Hormone gewissermassen unter Drogen gesetzt, alles funktioniert einfach. Wenn man da aber nicht schon gelernt hat, einfach mal zu kuscheln, wird das später schwierig. Denn gerade Streicheln und Kuscheln bieten eine gute Basis, um eine gesunde Sexualität aufzubauen.

Wie lernt man es trotzdem noch?

Es gibt zwei Varianten des Berührens und Übens. Die andere Person legt sich beispielsweise hin, und man berührt sie, wie sie gerne berührt werden möchte, oder man berührt sie, wie man selbst gerne berührt würde. Dabei handelt es sich um eine neue Form der Annäherung. Aber der Erfolg dieser Übung ist natürlich auch stark von den beteiligten Personen abhängig, aber sie kann bei diesem Problem helfen, wie etwa auch eine sexfreie Zone zu Hause zu definieren (siehe  Box).


«Ich empfehle oft einen Talk am Abend»

Was können Paare selbst unternehmen, wenn es in der Beziehung kriselt oder im Bett der Pep fehlt? David Siegenthaler nennt praktische Tricks:

Der Wochenhit: Klienten haben diesen Tipp so getauft, weil er ihnen wohl sehr geholfen hat. Die Idee ist, dass jeder regelmässig für den anderen einen kompletten Tag gestaltet und ihm ungeteilt Aufmerksamkeit zukommen lässt.

Die sexfreie Zone: Wenn man verlernt hat zu kuscheln, weil man beispielsweise immer den Druck hat, dass etwas Sexuelles daraus resultieren muss, kann es helfen, sexfreie Zonen zu definieren, in denen nur gekuschelt wird und es zum Anderen gar nicht erst kommen kann.

Der Talk am Abend: Ich empfehle Paaren mit Problemen oft einen gemeinsamen Talk am Abend. Etwa nach dem Zähneputzen. Jeder soll fünf Minuten erzählen dürfen, und die andere Person hört nur zu. Das ist für manche eine Herausforderung, hilft aber, sich wieder aufeinander einzulassen.

Das ideale sexuelle Szenario nach Ulrich Clement: Ist man sexuell unglücklich, kann es helfen, wenn beide Partner einmal notieren, wie für sie der perfekte Sex aussehen würde, danach lesen sie es sich gegenseitig vor. Das kann ans Eingemachte gehen. Oft findet man aber auch ungeahnte Gemeinsamkeiten. (cg)


Online gibt es nicht nur Serien, sondern auch unzählige Pornoseiten. Für die Beziehung ein Problem?

Pornos sind in den Therapien immer wieder ein Thema. Es ist wie mit McDonald’s. Einmal im Monat oder sogar einmal in der Woche zu McDonald’s zu gehen, schadet niemandem, dreimal am Tag kommt nicht gut. Da wird zwar ein kurzfristiges Bedürfnis befriedigt, aber qualitativ gutes Essen, das man gemeinsam zu Hause mit frischen Zutaten zubereitet, ist schon etwas anderes. Lieber Pornos zu schauen, als mit der Frau zärtlich zu werden, ist auch eine Flucht dorthin, wo es vermeintlich funktioniert, dabei können Sexualstörungen ausgelöst werden. Wer sich immer nur zu einem Film befriedigt, vernachlässigt zudem die Hüftbewegung, welche in der Penetration eigentlich benötigt wird, das kann dann zu Erektionsstörungen führen. Wenn sie gemeinsam konsumiert werden, können aber Pornos auch verbinden.

Sie arbeiten schon länger im Kanton Zug. Um mal beim Klischee zu bleiben: Haben reiche Paare eigentlich andere Probleme?

Da geht es oft ums Vertrauen. Etwa Fragen wie: Kann ich ihm vertrauen, dass, wenn er geschäftlich im Ausland ist, er dort nicht fremdgeht?. Oder auch das Thema Abhängigkeit: Wenn der Mann beispielsweise sehr gut verdient, die Frau aber nicht berufstätig ist, oder umgekehrt. Die Person, die beruflich nicht tätig ist, kann sich dann abgewertet oder vom Partner abhängig fühlen.

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Interview – Weihnachten als Feuerprobe für Paare
Die Tücken der Festtage für Paare und wie es denoch gelingt.
2018_12 Zeitungsinterview – Weihnachten
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