Wahrheit oder Lüge, Wie viel Unehrlichkeit verträgt eine Beziehung? (Interview Blick)


Die Wahrheit kann manchmal ganz schön verletzend sein. Ein Grund dafür, nicht immer ganz ehrlich zu sein? Der psychologischer Berater David Siegenthaler hat Antworten auf diese Frage.

Einen kleinen Teil der Wahrheit vor dem Partner zu verschweigen, ist in gewissen Situationen in Ordnung – so denkt manch einer. Doch Ehrlichkeit ist etwas vom Wichtigsten in einer Beziehung. Nur wenn man sich gegenseitig vertraut, kann eine Partnerschaft funktionieren. Aber: «Wenn etwas gar keine Relevanz im Alltag hat – muss man es dann wirklich dem Gegenüber mitteilen?», fragt David Siegenthaler (30), psychologischer Berater bei Paarberatung & Mediation im Kanton Zürich, im Gespräch mit BLICK. Dann nennt er ein Beispiel: «Findet mein Partner oder meine Partnerin meine Nase zu krumm, dann muss ich das nicht unbedingt wissen.» Diese Art von Lügen sei dazu da, damit das Gegenüber nicht verletzt wird. «Man muss nicht immer zu jeder Zeit alles mitteilen, was man denkt und fühlt.» Wichtig sei laut dem Experten, als Paar zu definieren, bei welchen Dingen es von Bedeutung ist, sie mitzuteilen und ehrlich zu sein. «Und festzulegen, wann es auch mal nichts ausmacht, wenn man nicht die ganze Wahrheit sagt.»

Verschiedene Arten von Lügen

Zu lügen, weil man den Partner oder die Partnerin schützen will, ist ein Grund für Unehrlichkeit. «Man will den anderen nicht verletzen.» Ein anderer Auslöser kann sein: «Man lügt aus Angst. Beispielsweise aus Angst vor Ablehnung, wenn man sich nicht in einem guten Licht darstellt.» Man belüge dann auch sich selber und sage, dass man in etwas gut sei, worin man es eigentlich gar nicht ist.

Um eigene Ziele zu erreichen, wird laut dem Experten manchmal die kalkulierte Lüge eingesetzt. Diese diene dem Sinn von Manipulation oder um negative Konsequenzen zu vermeiden und die Selbstverantwortung abzugeben.

Zuletzt nennt der psychologische Berater die Art von Lüge, die bereits ins Krankhafte übergeht. «Dort besteht meist das Bedürfnis nach starker Aufmerksamkeit. Man sagt beispielsweise, man hat Krebs, obwohl das nicht stimmt.»

Bei harmlosen Themen zu schwindeln, wie etwa um eine Geburtstagsüberraschung zu verheimlichen, sei es wohl für die meisten Paare in Ordnung zu lügen. Im Falle von elementaren Themen, wie dem Hochzeitswunsch oder der Kinderplanung, sei es dagegen immer wichtig, die Wahrheit zu sagen. «Dort sollte man unbedingt klären, wie beide Parteien dazu stehen.» Nur so kann laut Siegenthaler ein Grundstein für eine funktionierende Beziehung gelegt werden.

Abwägen zwischen belanglos und bedeutungsvoll

Egal, um welche Form von Lügen es sich handelt, der Umgang mit Ehrlichkeit ist immer etwas ganz Individuelles, wie Siegenthaler meint. Jede Beziehung müsse selbst für sich entscheiden, wie weit die Lüge gehen darf. «Es ist ein Abwägen zwischen belanglos und bedeutungsvoll. Am Ende muss jeder selbst herausfinden, was er für sich behalten will und was nicht. Manchmal kann eine Lüge die Beziehung schützen, oftmals kann sie aber auch elementares Vertrauen zerstören.»

Auf die Frage, wie man reagieren soll, wenn man glaubt, das Gegenüber habe gelogen, findet der psychologische Berater: «In einem ersten Schritt ist wichtig, sich selbst zu fragen, ob man sich hundertprozentig sicher ist oder es nur ein Bauchgefühl ist.» Bei Letzterem könne man auch falsch liegen, und darauf solle man sich nicht verlassen. Weiter soll man sich laut Siegenthaler Gedanken darüber machen, ob man die Wahrheit auch wirklich wissen möchte: «Fragen Sie sich, was es Ihnen bringen wird, wenn die Karten auf dem Tisch liegen. Will ich einfach nur überprüfen, ob meine Wahrnehmung korrekt war? Oder geht es mir wirklich um meine Gefühle, und ich brauche die Wahrheit für mich, um mich sicher zu fühlen oder um zum Beispiel eine Entscheidung fällen zu können?»

Habe man dann tatsächlich herausgefunden, dass der andere gelogen hat, solle man in sich gehen und überlegen, ob man unbedingt gleich mit dem Gegenüber ins Gericht gehen muss. «Irgendwann verwandelt sich die Unsicherheit in Kontrolle, und Kontrolle ist das Gegenteil von Vertrauen.» Um dies zu verhindern, sei es wichtig, gemeinsam im Gespräch herauszufinden, was hinter einer Lüge steht. Dies biete laut Siegenthaler Po­ten­zi­al, sich als Paar besser kennenzulernen und sich entwickeln zu können.

Quelle Blick: Blick.ch

Im Auftrag von: Paarberatung & Mediation Kanton Zürich

Jurnalistin: Vanessa Büchel