Bin ich untreu, wenn ich mit anderen Frauen chatte?


Meine Freundin hat herausgefunden, dass ich mit anderen Frauen Sexchats hatte. Nun musste ich ihr
versprechen, damit aufzuhören. Doch irgendwie kann ich nicht anders. Sind solche Chats wirklich ein Problem? Können sie meine Beziehung gefährden, bedeuten sie überhaupt Untreue, wenn sie doch nur virtuell ablaufen?

David Siegenthaler

30.10.2019, Luzerner Zeitung

Sexchats können vom Flirten bis zu einer Art Rollenspielen gehen, in denen die Beteiligten sich einen Charakter überstreifen wie einer erotischen Geschichte. Der Reiz besteht gerade darin, dass man jemand anderes spielen kann. Und dass man sich in etwas wiederfindet, das vermeintlich spannender ist als die Realität. Würde man das, was man sich vorstellt, tatsächlich machen, würde es sich vielleicht gar nicht mehr so gut anfühlen. Chats oder virtuelle Rollenspiele können aber auch eine reale sexuelle Beziehung ergänzen und inspirieren.

Zwanghaftes Verhalten

Problematisch wird es, wenn das Chatten zwanghaft wird und den Alltag zu dominieren beginnt. Ähnlich wie etwa bei suchthaftem Pornokonsum wird das Verlangen immer grösser und die Kontrolle über das Verhalten immer kleiner. Zudem können reale Beziehungen beeinträchtigt werden, auch in sexueller Hinsicht. Wenn Ihr Verhalten Ihnen oder anderen Schwierigkeiten verursacht im alltäglichen Leben, haben Sie ein Problem. Und vielleicht brauchen Sie Hilfe von aussen, etwa wenn ein in der Kindheit verankertes Problem wie Vernachlässigung,
Abwertung oder Ablehnung der Eltern dahintersteckt. Sexualität wird dann als Kompensation genutzt. Es ist wichtig
zu wissen, dass es bessere Wege gibt, um Ihr Selbstwertgefühl zu steigern.

Ist es Untreue?

Sie fragen nun, ob Sexchats mit anderen Frauen Untreue bedeuten. Treue wird von jedem Paar selber definiert. Eine klassisch monogame Beziehung versteht man so, dass ausschliesslich mit dem Partner Sexualität und emotionale Liebe gelebt wird. Auch intensive persönliche Gefühle und Gedanken werden nur in der Beziehung ausgetauscht. Sexualität mit jemand anderem zu teilen, sei es auch nur virtuell, wird dabei wohl als Verstoss gegen dieses Verständnis der Beziehung wahrgenommen. Ihr Partner fühlt sich nicht mehr in gleichem Mass wie davor als
jemand ganz Besonderes und ganz Wichtiges, wenn Sie intensive Gefühle mit jemand anderem geteilt haben.

Über Grenzen sprechen

Genau die Grenzen, die Sie als Paar gesetzt haben, sind die Messlatte für die emotionale und sexuelle Treue. Diese Grenzen werden fast zwangsläufig von demjenigen Partner bestimmt, der weniger erlauben will oder kann, vielleicht weil er verletzlicher ist. Werden diese Grenzen überschritten und Ihr Partner findet das heraus, sinkt das Vertrauen und verwandelt sich womöglich sogar in Misstrauen und Kontrollverhalten. Entsprechend werden Ihre Aussagen wohl öfter in Frage gestellt. Wenn Sie sich also Freiheiten nehmen wollen, kommen Sie wohl nicht darum herum, mit dem Partner über Erlaubtes und Grenzen zu sprechen. Dies ist ein Grundpfeiler für Klarheit, Sicherheit und Vertrauen in der Partnerschaft.

Kurzantwort
Aus Sicht einer klassisch monogamen Beziehung dürfte der Austausch von intimen Gedanken mit einer anderen Person vom Partner bereits als Treuebruch empfunden werden. Wenn man Wert auf solche Freiheiten
legt, sollte man mit dem Partner darüber reden, was für beide Seiten noch in Ordnung ist. (are)

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